Statement zur Veranstaltung “Kurzfilmperspektiven auf den Nahostkonflikt” aus der Reihe „Stimmen aus Nahost. Künstlerische Positionen und kulturelle Perspektiven“ der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Berlin und Studium Generale.
Einführung
Dieses Semester veranstalteten die Studierenden des Faches “MedienKulturJournalismus” an der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Berlin und Studium Generale die dreiteilige Veranstaltungsreihe “Stimmen aus Nahost” (https://praxis- udk.de/2020/06/24/stimmen-aus-nahost/). Im Vorfeld der Veranstaltungen haben einige Privatpersonen, wie auch zivilgesellschaftliche Organisationen, ihre Kritik an der Durchführung der
Veranstaltung und vor allem an der Wahl der Referent:innen formuliert:
- Offener Brief jüdischer Studentin (Anlage 1)
- Jüdische Studierendenunion Deutschland, Offener Brief: „Keine kulturelle Kollaboration mit
Antisemit*innen“ https://www.jsud.de/beitrag/keine-kulturelle-kolloboration-mit-antisemit-innen
- WerteInitiative - jüdisch-deutsche Positionen: „Problematische Veranstaltungsreihe an der Berliner
Universität der Künste“ https://werteinitiative.de/udk1/
Bis heute gab es von Seiten der Leitung der UdK keine Äußerungen zu diesen Bedenken und
Stellungnahmen. Für die Landeszentrale für politische Bildung äußerte sich der Leiter, Herr Thomas Gill, in einer Antwortmail, die auch hier veröffentlicht wurde:
Antwort von Thomas Gill vom 27.07.2020: https://werteinitiative.de/udk1/
Überraschenderweise beantwortete Herr Gill alle Anfragen wortgleich, wobei er nicht bereit war jüdische und kritische Positionen anzunehmen und damit zu arbeiten. Wir wurden lediglich
eingeladen, bei der nächsten Veranstaltung teilzunehmen, „um einige unserer Bedenken entkräften zu können.“ Dieser Einladung gingen wir vorgestern, am 07.08.2020, nach und nahmen an der
Kurzfilmveranstaltung im Filmrauschpalast Moabit teil.
Unsere Bedenken wurden nicht entkräftet, wie es sich Herr Gill gewünscht hat, sondern wurden auf eine kaum vorstellbare, erschütternde Art bekräftigt.
Wir haben uns vorab über die gezeigten Filme informiert und mussten erkennen, dass sich die bei der ersten Veranstaltung gegebene Ausrichtung wiederholte. Die antizionistische Grundideologie der Initiator:innen blieb gleich, lediglich das Medium wechselte von Vortrag zu Film. Es fanden kein Dialog, Perspektivwechsel oder eine ausgewogene Darstellung verschiedener Positionen statt. Die gezeigten Filme waren eine Mischung antizionistischer, von Täter-Opfer-Umkehr getriebener bis hin zu offen antisemitischer-verschwörungsideologischer Vorstellungen – für diese Kategorisierung bedienen wir uns der „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ (IHRA) und der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) .
Wir möchten noch einmal betonen, dass diese Veranstaltung nicht durch die Wahl der einzelnen Filme problematisch wurde, sondern sich aus der Gesamtheit dieser und dem Umgang damit ergab. Von universitären und staatlich geförderten Einrichtungen erwarten wir eine klare Positionen und einen verantwortungsvollen Umgang in Bezug zu dem von ihnen geteilten Material und dem Publikum, welches es erreicht und keine unkritische Verbreitung von antisemitischen Klischees.
Programm & Film
Dadurch, dass auch bei dieser Veranstaltung kein neutrales und objektives Vorgehen die
Arbeitsprämisse der Veranstaltenden war, haben wir uns entschieden, nicht auf jeden Film einzeln einzugehen. Wir möchten vor allem auf den 3. Film Bezug nehmen: “White City“, dessen Regisseur Dani Gal ebenfalls von den Veranstaltenden eingeladen wurde. Im Anschluss des Filmes führten die Studierenden des MedienKulturJournalismus ein Interview mit D. Gal.
Der Film schildert das Aufeinandertreffen und den Austausch des Rassenideologen Hans F. K.
Günther, auch „Rassengünther“ oder „Rassepapst“ genannt, und des zionistischen Juden Arthur
Ruppin.
Die Prämisse des Films ist „Berührungspunkte im Denken von Zionisten und
Nationalsozialisten nachvollziehbar zu machen.“ Mit der genannten Thematik der Veranstaltenden, den Israel-Palästina-Konflikt zu „beleuchten“, hat dieser Film entsprechend sehr wenig zu tun, geht es doch hauptsächlich um entmenschlichende, dämonisierende jüdische Stereotype (IHR), die als genauso gefährlich wie die Mörder des Nationalsozialismus stilisiert werden. Im Mittelpunkt des Films steht eine Kollaboration von Jüd:innen und Nationalsozialist:innen, sowie eine Wesensgleichheit von Nationalsozialismus und Zionismus, was durch Aussagen der Protagonisten unterstrichen wird. Eine solche Filmvorführung, die ohne kritische wissenschaftliche Begleitung durchgeführt wird, redet deutscher Erinnerungsabwehr in Form einer perfiden Täter-Opfer-Umkehr den Mund.
So äußert der im Film dargestellte Jude Arthur Ruppin beispielsweise gegenüber dem Urheber der NS- Rassenideologie: „Unsere Methoden sind nicht weit voneinander entfernt“. Arbeitsdefinition von Antisemitismus: Vergleiche der israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten (IHR). Auch sind sich beide im Film einig, dass die Vermischung der Rassen als das Problem gilt. Hier werden Rassentheorien der Nationalsozialisten mit der „rassistischen“ Ideologie Ruppins gleichgesetzt und die Entstehung Israels als rassistisches Unterfangen dämonisiert. Hierzu noch einmal die Arbeitsdefinition von Antisemitismus: Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen. (IHR)
Die Präsentation des jüdischen Protagonisten und seiner Auseinandersetzung mit der – wie er es im Film nicht ohne offensichtlichen Bezug zu der von seinem nationalsozialistischen Gegenüber in den Raum gestellten Judenfrage – äußert, „Araberfrage“[sic!] bedient sich des antisemitischen Ressentiments und dem Vorwurf gegenüber den Jüd:innen als Volk bzw. dem Staat Israel, den Holocaust freudig herbeigesehnt zu haben, um einen zionistischen Staat gründen zu können – was gleichzeitig das Ausmaß, das Leid und die Mechanismen (z.B. der Gaskammern) und die Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Jüd:innen durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Unterstützer:innen und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaust) (IHR) bestreitet und bagatellisiert.
Im letzten Bildabschnitt von D.Gals Film werden arabische Personen von einem Lastwagen, der von einem aufgrund seiner Kleidung und Darstellung als nicht arabisch identifizierbaren Mann gefahren wird, abtransportiert. Der Jude Arthur Ruppin wird als fröhlich schlendernder Spaziergänger hinter dem Transporter dargestellt.
Das von D. Gal genutzte stilistische Bildmittel zieht hier eindeutig Parallelen zur Deportation der Jüd:innen, nur sind es in dem von ihm vermittelten Bildmaterial
Araber:innen, die von Juden deportiert werden. Damit unterstellt D.Gal Jüd:innen und dem Staat
Israel, dieselben Menschenrechtsverbrechen an dem arabischen Volk zu begehen, wie sie die dem jüdischen Volk angetan wurden. Er betreibt damit unzulässige NS-Vergleiche und instrumentalisiert den Holocaust.
Reaktion und Kommunikation der Veranstaltenden
Nach der Präsentation der ersten drei Filme wurde dem eingeladenen Referenten D. Gal die
Möglichkeit gegeben, über seinen Film zu sprechen, Fragen der Initiator:innen und des Publikums zu beantworten. Die Interviewenden stellten keine kritischen Fragen oder versuchten das gesehene kritisch einzuordnen; es wurde lediglich nach den stilistischen Gestaltungsmitteln, sowie ästhetische oder ortsbezogene Fragen zu „White City“ gestellt.
Die Intention und Positionierung des Regisseurs wurden nicht hinterfragt, obgleich er wie oben
erwähnt, offensichtlich mit stark antisemitisch konnotierten Aussagen, Bildern und historischen
Persönlichkeiten/Kontexten arbeitet. Als Aufgabe angehender Journalist:innen sollte es auch in ihrer Verantwortung liegen, Quellen, Fakten und die Art der Recherche zu hinterfragen und auf
Subkontexte zu überprüfen. Der Film wurde mehrfach legitimiert mit der Aussage, dass sich der
Regisseur an Tagebucheinträgen des jüdischen Protagonisten bediente. Jedoch gab der Filmemacher zu, die historischen Dokumente nicht rekonstruktiv in den Film eingearbeitet zu haben, sondern daraus “ein neues Narrativ” entwickelt zu haben, um in seinen Augen einen “blinden Fleck” in der Geschichte Israels aufzuzeigen. Auch offensichtliche antisemitischen Aussagen wie: „Nach der Gründung Israels sind Juden die Täter geworden“, deckten die Interviewenden nicht als solche auf.
Unsere weitere Frage bezüglich der antisemitischen Stereotype in der Darstellung des
Hauptprotagonisten und das Ausblenden der Geschichte der arabischen Jüd:innen wurde ignoriert. Mehr noch: Während der Fragestellung wurde die Person mehrmals durch Zwischenrufe aus dem Publikum gestört. Anstatt die Situation zu deeskalieren und sich auf den versprochenen Dialog einzulassen, haben sich die Moderator:innen entschieden auf die Fragen nicht einzugehen. An dem Punkt wurde uns deutlich, dass in der Veranstaltung keine kritischen Nachfragen erwünscht sind.
Als Protest, auf den offensichtlichen Versuch hin kritische Stimmen aus der Veranstaltung zu drängen, entschieden wir uns diese zu verlassen, suchten aber noch im Vorraum des Kinos den Dialog mit Menschen, die ebenfalls organisatorisch mitgewirkt hatten. Auch dieser Versuch wurde schließlich dadurch unterbrochen, dass das offene Gespräch durch eine Dozentin der UdK unterbrochen und abgewürgt wurde.
Unsere Forderungen
Dem Angebot von Herrn Gill folgend, haben wir uns weiter mit der Veranstaltungsreihe “Stimmen aus Nahost” auseinandergesetzt. Wir sind erschüttert über das Ausmaß der offen antisemitischen filmischen Darstellung, antiisraelischen Behauptungen des Regisseurs und einer Darstellung der nationalsozialistischen Rassenideologie, die in der Veranstaltung nicht in einen kritischen Kontext eingebettet wurde. Wir halten eine solche Vorführung ohne kritische Kontextualisierung in Zeiten, in denen Jüd:innen und jüdische Institutionen angegriffen werden und in denen eine Partei im Deutschen Parlament offen Schlussstrichrhetorik betreibt, für ein gefährliches, weil Antisemitismus weiter normalisierendes, Vorhaben.
Wir erinnern Sie, dass im Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 23.05.2018 steht: „Organisationen, Vereinen und Personen, die die Existenz Israels als jüdischen Staat delegitimieren oder anderweitig antisemitisch agieren, werden – soweit rechtlich möglich – keine Räumlichkeiten oder Flächen zur Verfügung gestellt. Sie sollen auch keine Zuwendungen oder Zuschüsse des Landes erhalten.“
Unserer Auffassung nach verstoßen sowohl die Universität der Künste als auch die Landeszentrale für politische Bildung gegen den o.g. Beschluss.
Wir fordern die Aufklärung und eine Stellungnahme der Verantwortlichen und die Absage der
nächsten Veranstaltung der Reihe “Stimmen aus Nahost” am 07.September 2020.
Wir fordern die Durchsetzung des o.g. Beschlusses und keine weitere Finanzierung antisemitischer
Veranstaltungen und Kooperationen seitens der Landeszentrale für politische Bildung Berlin.
Unterzeichner:innen:
Studierende der UdK
JSUD - Jüdische Studierendenunion Deutschland
Keshet Deutschland e.V.
Maria Kireenko, Vorstand des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V.
Ruben Gerczikow, Vizepräsident der European Union of Jewish Students
Volker Beck, Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES)
der Ruhr-Universität Bochum